Die Beratung und Begleitung von Patientinnen, Patienten und Angehörigen in Situationen, in denen eine medizinische Behandlung wirkungs- oder aussichtslos sein könnte, ist eine zentrale Aufgabe der Medizin. Oft wird die Thematik mit dem Oberbegriff der medizinischen Futility zusammengefasst.
Die Einschätzung, ob eine Therapie indiziert ist oder ob sie wirkungs- oder aussichtslos scheint, erfolgt durch medizinische Fachpersonen evidenz- und erfahrungsbasiert. Im Einzelfall ist dieser Prozess aber nie frei von Subjektivität, weil Werturteile der Patientinnen, Patienten, Angehörigen und nicht zuletzt der Fachpersonen mit einfliessen. Die involvierten Berufsgruppen tragen eine besondere fachliche und ethische Verantwortung.
In mehreren medizin-ethischen Richtlinien der SAMW werden Situationen der Wirkungs- oder Aussichtslosigkeit thematisiert. Ausgehend von diesen Diskussionen, die während der Covid-19-Pandemie noch intensiviert wurden, hat die Zentrale Ethikkommission (ZEK) der SAMW beschlossen, das Thema vertieft zu bearbeiten und dazu eine breit abgestützte Subkommission einzusetzen. Die Ergebnisse dieser Arbeiten wurden in den dreisprachigen Empfehlungen «Wirkungslosigkeit und Aussichtslosigkeit – zum Umgang mit dem Konzept der Futility in der Medizin» (2021) veröffentlicht.
Neben theoretischem Hintergrund, der das Konzept der Futility kritisch betrachtet, enthalten die Empfehlungen konkrete Beispiele zur Veranschaulichung. Die SAMW bietet damit Orientierung für die Praxis und hofft, eine bewusste Auseinandersetzung über den Umgang mit Wirkungs- und Aussichtslosigkeit anzuregen. Sie lädt Fachgesellschaften, Pflegeorganisationen und Patientenorganisationen ein, die Diskussion über diese komplexe Thematik aufzunehmen.
Ein in der Schweizerischen Ärztezeitung veröffentlichter Artikel fasst die wichtigsten Punkte zusammen:
Wie umgehen mit Wirkungs- und Aussichtslosigkeit in der Medizin? (SÄZ, 15. Dezember 2021)
Acht Empfehlungen mit konkreten Beispielen
Stehen Wirkungs- oder Aussichtslosigkeit einer Behandlung eindeutig fest, entfällt die medizinische Indikation. Fachpersonen können sich jedoch genötigt fühlen, Behandlungen durchzuführen, obwohl diese aus ihrer Sicht nicht dem Patientenwohl dienen, beispielsweise weil Erwartungshaltungen respektive Druck von Patientin und Angehörigen bestehen. Insgesamt acht Empfehlungen – hier wird exemplarisch eine aufgeführt – bieten Hilfestellung für solche Situationen.
Empfehlung «Klärung des Behandlungsziels»: Das übergeordnete Ziel der Behandlung muss mit der Patientin bzw. deren Vertretung geklärt werden. Dabei berücksichtigen medizinische Fachpersonen Vorstellungen und Wissensstand der Patientin, tragen ihren Bedürfnissen, Wünschen und Befürchtungen Rechnung und erfragen ihre Präferenzen. Fachpersonen orientieren sich am Behandlungsziel und legen Rechenschaft darüber ab, ob das Vorgehen dem Ziel entspricht. Das Ergebnis ist in geeigneter Form zu dokumentieren.
Beispiel: Eine Patientin mit Gebärmutterhalskrebs entwickelt ein obstruktives Nierenversagen, das unbehandelt zum raschen Tod führen kann. Die Patientin möchte die Geburt ihres Enkelkindes in zwei Monaten erleben. Eine Dialyse kann das Leben verlängern, verändert jedoch nichts am zugrunde liegenden Tumorleiden. Sie ermöglicht es jedoch, dass die Patientin die Geburt des Enkelkindes erlebt, und kann daher sinnvoll sein.